Nichts zu beschönigen.

Hoffnung bedeutet, das Unmögliche zu durchqueren

Transkript von unserem Impuls bei den Kar- und Ostertagen in der Zukunftswerkstatt Frankfurt.

Das Osterfeuer ist immer etwas Besonderes. Und es ist immer den Einstieg in einen Text wert. Mehr noch, wenn das Osterfeuer am Ende eines Tages brennt, den wir mit einer Betrachtung am leeren Grab begonnen haben, nur um dann einen langen Vormittag lang zu sprechen, was in uns Helferinnen diese Flamme am Leben hält. Sr. Regina, Sr. Christine und Sr. Elisabeth waren an diesem Ostern in der Zukunftswerkstatt SJ in Frankfurt, um gemeinsam mit den Jesuiten des Berufungscampus 60 Jungen Erwachsene durch die Kar- und Ostertage zu begleiten und mit ihnen am Karsamstag etwas von unserem Helferinnen-Charisma zu teilen.

Alles steht still.

Pause – alles steht still, so beginnt Christine ihren Impuls zu Beginn des Vormittags. In der Mitte des Raumes liegt das Kreuz, am Vortag mit Kerzen und Blumen verehrt, jetzt unter einem Tuch, ein Licht, einige Blüten, sonst nichts. Wir sind im Atrium der Hochschule St. Georgen in Frankfurt. Die Karfreitagsliturgie haben wir auf die darüberliegenden Etagen verteilt gefeiert, eine Rundung in jeder Etage legte die Sicht auf die Mitfeiernden und auf die Tiefe frei, in der wir jetzt gemeinsam sitzen. Warum will man, dass es weiter geht? Aus Ungeduld. Oder um Schmerz zu vermeiden. Und beides hat viel mit Karsamstag zu tun. Wir laden euch also heute ein, sich von einem gewissen Unbehagen nicht abhalten zu lassen und euch von der Pause, der Leere, dem Schmerz, der Verwirrung, dem Ungewissen, der Einsamkeit … herausfordern zu lassen.

Damit ist ein Grundton in den Tag hineingelegt, den wir drei mit ganz verschiedenen Färbungen versuchen eine Stimme zu geben. Christine aus spirituell-philosophischer Sicht, Regina durch eine Reflexion ihrer Erfahrungen mit Menschen in existentiellen Krisen und Elisabeth mit einem (sozial)psychologischen Impuls, der die jungen Erwachsenen in den Austausch führt.

Was bedeutet also Karsamstag und Hoffnung? Dazu zitiert Christine Etty Hillesum: „Mystik muss auf einer kristallenen Ehrlichkeit beruhen, nachdem man zuvor die Dinge bis zur nackten Realität durchforscht hat.“ Karsamstag ist also ein Tag, der dazu einlädt, wirklich Ernst zu machen mit der Realität. Nichts zu beschönigen. Die Dinge zu sagen, wie sie sind. Jesus ist tot. Punkt. Aus. Die Jünger sind zerstreut. Die Frauen halten sich versteckt. Tot. Lähmung. Das Drama des Karfreitags ist vorbei, jetzt ist alles still. Totenstill. Realität ist das, was ist.

„Hoffnung bedeutet, das Unmögliche zu durchqueren.“ (Pelluchon)

Wenn wir dieser Realität ins Auge blicken, können wir dann überhaupt von Hoffnung reden? In der Vorbereitung sind wir auf das Buch „Die Durchquerung des Unmöglichen“ von Celine Pelluchon gestoßen, einem engagierten, dabei explizit säkular argumentierendem, Plädoyer für die Hoffnung. Christine führt schlaglichtartig durch Pelluchons Gedanken – hier nur zwei Aspekte: „Hoffnung setzt die Auseinandersetzung mit Leid und Verzweiflung voraus“, schreibt Pelluchon. „Hoffnung bedeutet, das Unmögliche zu durchqueren. Sie erscheint, wenn man sie nicht mehr erwartet, und entsteht nach der Erfahrung des Nichts.“ Wir wagen es, den Jungen Erwachsenen gegenüber das Fegefeuer zu erwähnen – weil es hier so nahe liegt. Und weil es in den verbleibenden gemeinsamen Stunden genug Zeit zum Nachfragen gibt.

Für uns als Glaubende, für uns als Helferinnen vielleicht erst recht, steckt in diesem Hoffnungsmoment am Nullpunkt Gnade. Und das sagen wir auch so. Dieses Urvertrauen in einen sich-immer-wieder-neu-zuwendenden-Gott braucht es wohl, um angesichts Reginas täglichen Erfahrungen nicht bei der Frage hängen zu bleiben, die eine Teilnehmerin im Anschluss an ihren Erfahrungsbericht stellt: „Macht dich das nicht alles einfach nur wütend???“.

Nicht weglaufen, sondern dableiben. Aushalten.

Regina nimmt uns zu drei biblischen Gestalten des Karsamstags mit: Zu Josef von Arimathäa, der Jesus vom Kreuz nimmt, zu ihm steht, ihn „nicht hängen lässt“ in einer beschämenden Situation. Zu Nikodemus, der Jesus salbt – ihm einen Liebesdienst erweist, Jesus zeigt, dass er kostbar, dass er es wert, ist. Und zu der Darstellung der Pieta, die den kraftlosen Jesus in Händen hält. Regina erzählt anhand von Beispielen, wie sie den Personen, denen sie in ihrer Arbeit zunächst in der Seelsorge in einer Erstaufnahmeeinrichtung entsendet durch den JRS und jetzt in einem psychosozialen Zentrum für geflüchtete Frauen, versucht zu begegnen. Wie Josef nicht wegzulaufen, sondern zu der Person zu stehen, Wege mitzugehen, sie nicht allein zu lassen – auch wenn sie etwas selbst nicht gutheißt. Mit Nikodemus die Personen ihre Würde spüren zu lassen, über Sprachbarrieren hinweg und gerade da, wo diese Würde durch Erfahrungen von Rassismus, behördlicher Kälte, Erniedrigung, verletzt ist. Und wie Maria in der Darstellung der Pieta das Leid aushalten, weder beschwichtigen noch verzweifeln und auch nicht gleich eine Lösung parat haben. Sondern dableiben, aushalten. In all dem braucht es viel Vertrauen: Vertrauen in die Kräfte der Person, Vertrauen, dass an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit andere Menschen dieser Person beistehen, und Vertrauen, dass Gott diese Person niemals fallen lässt. Und das Vertrauen, selbst von Gott gehalten zu sein und so aufrecht bleiben zu können, angesichts des Leids – nicht in Zynismus oder Resignation zu verfallen; nicht „einfach nur wütend“ zu bleiben.

Hoffnung bedeutet: Welt und Zukunft als gestaltbar erfahren

Der dritte Impuls, bevor die Jungen Erwachsen Zeit bekamen zum persönlichen Austausch, warf einen Blick die Möglichkeit, sich aus der Stille hinaus erneut einen Fuß ins Neue hineinzusetzen. Erst einmal steht da die Frage im Raum: Was bewegte die Frauen am Ostermorgen. Warum nicht sie bei all der Tristesse nicht einfach im Bett geblieben: Das neue Diagnosesystem der WHO hat unter den Kriterien einer Depressiven Episode „Hoffnungslosigkeit“ als Symptom aufgenommen. Zugrunde liegt eine Theorie der Hoffnungslosigkeit, die beschreibt, wie wir durch ein bestimmtes Deutungsmuster von dem, was uns widerfährt (ganz grob: „Der Fehler liegt bei mir, ist ganz grundsätzlicher Natur und wird sich nie ändern“) zu dem Schluss kommen: Mir mir stimmt etwas nicht. Einmal diese Überzeugung gewonnen, setze ich keine Hoffnung mehr auf den nächsten Schritt. Die Zukunft ist mir ja schon bekannt. Dazu sagte Giovanni Maio einmal: „Ein Mensch, der nicht hofft, verzichtet auf seine Freiheit. Der verzweifelnde Mensch meint im Grunde zu wissen, wie die Zukunft sein wird.“ (Giovanni Maio im Interview, DIE ZEIT vom 15.12.2016). Dem entspräche ein ewiger Karfreitag. Karsamstag dagegen lässt den Stillstand aus sich selbst heraus aufbrechen, in ihm keimt das Neue: „Die Hoffnung geht vielmehr mit einem Gestaltungsimpuls einher, sie ist zentraler Antrieb zur Gestaltung der Zukunft, die aber erst als eine grundsätzlich offene anerkannt werden muss.“ (Maio ebd.) Dieser Gestaltungsimpuls ist mehr denn je notwendig in von rückwärtsgewandten Ideen durchströmten Gesellschaften. „Welt und Zukunft als gestaltbar erfahrbar machen.“, ist deshalb ein wichtiger Ansatz der Demokratie-Pädagogik.

Es gibt nichts zu beschönigen in der Erfahrung des Nichts und doch bietet gerade unser Charisma ein Potential in diesen Erfahrungen nicht in Resignation zu verfallen, sondern hoffend, präsent zu bleiben mitten in der geteilten Realität, bei der konkreten Person uns gegenüber – und so in der Tiefe unseres Herzens die „Welt und Zukunft als gestaltbar“ zu erfahren. Das ist es – etwas ausschweifend berichtet – was wir, glaube ich, gerne teilen wollten. Es wurde dann noch richtig Ostern, mit Osterfreude bis in den Morgen – die sich immer noch am Besten ganz ohne schlaue Gedanken mitteilt.

Sr. Elisabeth Muche, Frankfurt, Ostern 2024.